Um es vorweg zu nehmen: Es war für mich ein spannender DSAG-Jahreskongress in Nürnberg. Das Format funktioniert, weil verschiedene starke Partner ihre Sicht der Dinge präsentieren. Es tut der SAP sichtlich gut, sich mit der DSAG als einem starken Vertreter der Kunden auseinander setzen zu müssen. Damit wird verhindert, dass die Dinge nur aus der Perspektive des Softwareherstellers gesehen werden.
Schließlich bringt die DSAG mit ihren Mitgliedern ein enormes Prozess- und Erfahrungswissen auf die Waage, wie es Dr. Marco Lenk in seiner Key Note am Dienstag betonte. Aber auch externe Impulsgeber wie Prof. Dr. Ralf Strauss mit seinem sehr interessanten Vortrag zum Thema Digitales Marketing lieferten interessante und richtungsweisende Beiträge.
Jedes Unternehmen muss seinen individuellen Weg finden!
Doch nun der Reihe nach. Ja, die Unternehmen haben die Bedeutung der Digitalen Transformation erkannt. Was eine Befragung der DSAG schon im Frühjahr (80% bemessen darin dem Thema eine hohe Bedeutung zu) ergeben hatte, war in Nürnberg mit Händen zu greifen. Dieses Thema elektrisiert viele Unternehmen wie kein zweites.
Doch wo stehen die Unternehmen heute? Dr. Bernd Leukert, Technologie-Vorstand der SAP begann seine Key Note mit einer Aussage des Ökonomen Theodore Levitt:
Kreativität bedeutet, die Dinge neu zu denken,
Innovation bedeutet, die Dinge neu zu machen!
Derzeit dürften sich viele Unternehmen irgendwo in der Mitte zwischen diesen beiden Polen bewegen. Aber das Thema ist schwer zu packen. Es gibt weder einen Standardweg, den man am Reißbrett planen kann noch kommt die Business Transformation aus der Steckdose – etwa per Releasewechsel oder einfach durch die Nutzung neuer Software. So habe ich die Aussagen von Dr. Marco Lenk, DSAG-Vorsitzender, verstanden. Auch Bernd Leukert von der SAP betont, dass jedes Unternehmen einen individuellen Weg finden muss.
Digitales Rückgrat: S/4HANA
Gleichwohl spielt die SAP eine wichtige Rolle, weil sie gewissermaßen mit ihren Lösungen den Treibstoff liefert. Mir gefällt der Begriff des Digitalen Rückgrats sehr gut, den die SAP bereits seit einiger Zeit verwendet. Damit sind die ERP-Systeme gemeint, über die Geschäftsprozesse zum Großteil abgebildet werden. In der Art und Weise dieser Abbildung steckt nach wie vor erhebliches Optimierungspotenzial. Auf dem Weg von SAP ERP nach S/4HANA, der künftigen ERP-Lösung der SAP gibt es, grob gesprochen, drei Ansätze:
- Die Optimierung der Systemlandschaft (etwa der Verschmelzung mehrerer Systeme zu einem zentralen S/4HANA-System innerhalb eines Unternehmens).
- Die Umstellung von SAP ERP auf S/4HANA über einen Releasewechsel
- Die Optimierung von Prozessen und Systemen durch eine komplette Neueinführung (neudeutsch: Greenfield-Approach).
Eng mit dem Digitalen Rückgrat verbunden ist die Frage nach dem Business-Intelligence-Komplex. Mit der HANA-Datenbank als Grundlage bietet S/4HANA neue Möglichkeiten der Analyse von Daten. Aber auch in Zukunft wird S/4HANA nicht die einzige Datenquelle sein. Die Anbindung von Drittsystemen wird eher mehr Bedeutung haben als bisher. Damit bleibt die Business-Warehouse Architektur mit ihren Extraktions- und Transformationsprozessen ein wichtiger Bestandteil des Digitalen Rückgrats. Die zentrale Frage ist, welchen Einfluss S/4HANA auf die Gesamtarchitektur im Zusammenspiel mit operativen und analytischen Anwendungen haben wird und welche Rolle das Business Warehouse als solches zukünftig spielen wird. Werden die SAP-Anwender vermehrt auf Embedded Analytics innerhalb S/4HANA zurückgreifen oder wird das BW als modernere und mächtigere Analytics-Plattform an Zuwachs gewinnen?
Individualisierung und HANA Cloud Platform
Neben diesem Zielbild eines Digitalen Rückgrats bestehend aus S/4HANA und BW/4HANA gewinnt die Individualisierung immer mehr an Bedeutung. Dies ist immer dann der Fall, wenn Unternehmen spezifische Lösungen brauchen, weil sie sich darüber vom Wettbewerb unterscheiden oder weil sie sich davon große Produktivitätsvorteile versprechen. Geht es nach der SAP, werden die Systems of Records (nach der Gartner-Einordung die Systeme für die Abbildung von Standard-Geschäftsprozessen) frei von Modifikationen in S/4HANA abgebildet. Individuelle Lösungen hingegen entstehen nach dem Willen der Walldorfer künftig fast ausschließlich in der HANA Cloud Platform (HCP). Damit beschäftigen wir uns zunehmend in der PIKON. In der HANA Cloud Platform entstehen neue, moderne und höchst benutzerfreundliche Apps, die den Standard ergänzen. Besonders wird die HCP durch ein umfassendes Angebot an Konnektoren mit denen sich sowohl herkömmliche Systeme (bis hin zu SAP R/3 etwa im Release 4.6c) aber auch soziale Medien etwa über einen Facebook-Adapter anbinden lassen. So entstehen Hybrid-Lösungen mit einem digitalen Kern und einer individuellen Cloud-Komponente. Bernd Leukert nennt dies Differenzierung durch Individualisierung.
Die PIKON-Bewertung dieser Architektur ist, dass die HANA Cloud Platform durchaus eine interessante Plattform für moderne und individuelle Komponenten ist, auch weil künftig immer mehr Business-Funktionen in der HCP bereitgestellt werden – nicht zuletzt deshalb waren alle Vorträgen zum Thema HCP aufdem Jahreskongress sehr stark frequentiert. Gleichwohl sehen wir auch künftig die Chance, individuelle SAP-Komponenten auf Basis einer on-premise-Lösung zu entwickeln. Wir haben das zum Beispiel für unseren Kunden ENGEL getan, dessen individuelle Angebots- und Produktkonfiguration dadurch unterstützt wird. Es wird auch in Zukunft Individuallösungen außerhalb der Cloud geben, die den Standard sinnvoll ergänzen. Dabei ist immer sicherzustellen, dass diese Programme releasefähig sind, also das Standard-ERP-Upgrade dadurch nicht behindert wird.
Neue Geschäftsmodelle, neue Geschäftsprozesse
Interessant in Bernd Leukerts Vortrag war auch, dass sich die SAP zunehmend als Partner bei der Weiterentwicklung der Geschäftsmodelle ihrer Kunden sieht. Immerhin sehen 85% der Unternehmen aus der eingangs zitierten Studie die SAP bereits als wichtigen Partner beim Thema der Digitalen Transformation an. Hier greifen Veränderungen innerhalb der SAP, die mit der Digitalisierung in Zusammenhang stehen. Innerhalb der oben angesprochenen Skala zwischen Kreativität und Innovation bewegen sich hier die meisten Unternehmen eher im Bereich der Kreativität, also am Anfang. Einige trauen sich noch gar nicht so recht an dieses Thema heran und beschäftigen sich lieber mit den oben beschriebenen technischen Fragestellungen (Digitales Rückgrat, Individualisierung).
Einen interessanten Beitrag steuerte hier Dr. Martin Petry (CIO, Hilti) bei. Er zeigte auf, wie die digitale Modellierung von Bauvorhaben, das Geschäftsmodell des Werkzeugherstellers grundsätzlich verändern könnte. So liefert die Modellierung (Building Information Modeling, BIM) bereits alle Informationen wo welche Werkzeuge (z.B. Bohrmaschinen) zum Einsatz kommen. Ergänzt durch Robotic können Vorgänge automatisiert werden, die heute noch manuell stattfinden. Wichtiger als das ist jedoch, dass hier neue Ecosysteme und Plattformen entstehen, bei denen die Frage wer für was verantwortlich ist und wofür Geld bezahlt wird, ganz neu zu beantworten ist.
Spätestens hier sind wir bei dem Punkt, dass die Digitalisierung kein reines IT-Thema ist. Sehr interessant war hier auch der Vortrag von Prof. Dr. Ralf Strauss von der Hamburg School of Business Administration. Er hat sich in der Vergangenheit in Publikationen aber auch praktisch in Unternehmen mit Themen wie e-Commerce, digitales Marketing und CRM auseinandergesetzt. In seinem gemeinsamen Vortrag mit DSAG-Vorstand Gerhard Göttert erläuterte er, warum seiner Meinung nach die Effekte von CRM-Systemen weit hinter den Erwartungen zurückliegen: Nämlich einfach deshalb, weil die Kommunikation zwischen Fachabteilungen aus Vertrieb und Marketing einerseits und der IT andererseits in vielen Unternehmen, vorsichtig gesagt, Luft nach oben hat. Und dieser Wahrnehmung der Realität stimme ich ausdrücklich zu. In Zukunft, und das zeigte der DSAG-Jahreskongress sehr deutlich, müssen Fachbereiche und IT enger verzahnt an Zukunftsstrategien arbeiten. Eine Unterstützung und Einbindung durch das Management ist dabei erforderlich. Das Ping-Pong-Spiel zwischen „definiert ihr erstmal die Anforderung“ und „wir leiten dann daraus einen Prozess, den wir durch Software unterstützen“ wird nicht mehr funktionieren, weil die Anforderungen an Prozesse der Zukunft noch gar nicht bekannt sind. Vielmehr sind Ideen gefragt, wie die Prozesse der Zukunft aussehen.
Fest steht, sie werden auf viel mehr Daten basieren, die Unternehmen heute über die Konsumenten zur Verfügung stehen. Außerdem wird das Marketing der Zukunft individueller und immer stärker mit dem Auftragsprozess verknüpft. Ralf Strauss prognostiziert, dass für Millenials Einkäufe aus sozialen Medien heraus der Normalfall sein werden. So müssen Marketingleute lernen mit strukturierten und weitgehend automatisierten Prozessen um zu gehen. IT-Leute werden immer mehr unstrukturierte Daten be- und verarbeiten müssen. Beides erfordert eine gemeinsame Sprachbasis als Katalysator für die Kommunikation zwischen Fach- und IT-Bereichen.
Fazit
Leider muss man sagen, dass während des Kongresses zwar mit Händen zu greifen war, dass eine gute Kooperation zwischen Fach- und IT-Seite über den Erfolg entscheidet – ABER: Trotzdem gab es wenige Hinweise darauf, was Unternehmen tun können, um diesen Prozess in Gang zu bringen. Das würde ich mir für nächstes Jahr wünschen, denn die Digitalisierung dürfte auch in Bremen 2017 wieder ein Thema sein.