Change Management ist aus heutigen IT-Projekten nicht mehr wegzudenken. Man findet unzählige Hinweise zu gängigen Ansätzen, Methoden und Theorien im wirtschaftlichen wie wissenschaftlichen Umfeld. Doch häufig helfen diese in konkreten Projektsituationen nicht oder nur unzureichend weiter. Was also tun, wenn die „klassischen“ Change Management Methoden nicht zum erhofften Ziel führen? In der PIKON schauen wir über den Tellerrand hinaus und ziehen Methoden aus der systemischen Beratung heran, um herauszufinden, was es wirklich braucht. Manchmal ist es nur ein Perspektivwechsel.
Kommen Sie mit mir auf eine kurze Erfahrungsreise, lernen Sie mithilfe kindlicher Augen neue Perspektiven im Change Management kennen und erfahren Sie mithilfe fünf konkreter Handlungsschritte, inwiefern ein bewusster Abschied manchmal Wunder bewirken kann.
Widerstände im Change Management
Ich bin Linda. Ich arbeite als Change Managerin in IT-Projekten und das ist meine Geschichte: Ich habe ein Problem mit Veränderung. Ich hasse sie. Als Kind habe ich zwei Wochen geweint, als wir ein neues Sofa bekommen haben. Auch in dem neu gekauften Auto wollte ich nicht mitfahren. Meine Eltern mussten mich an Händen und Füßen hineinzerren. Und mein Zimmer durfte man erst recht nicht umstellen.
Diese und weitere Geschichten habe ich oft über mich erzählt bekommen und dann wiederum oft erzählt. Ich erzähle sie gerne. Sie sind witzig und erklären plakativ, wieso es mir schwerfällt, mich auf Veränderungen einzulassen. Und Veränderungen passieren nun mal ständig – vor allem im Arbeitskontext.
Im Change Management ist der Umgang mit Widerständen gegenüber Veränderungen eine klassische Aufgabe. Schon Kurt Lewin thematisiert dies in seinem bekannten Modell von 1947. Er beschreibt den Veränderungsprozess in drei Phasen: Unfreeze – Change – Refreeze. Dabei fokussiert er in der ersten Phase “Unfreeze” die initiale Motivation zur Veränderung. Diese soll erreicht werden, indem die betroffenen Personen davon überzeugt werden, dass der aktuell vorherrschende Zustand unerwünscht ist. Aufkommende Widerstände sollen also dadurch reduziert werden, dass die Gründe für die Veränderung ausgiebig erklärt werden und der neue Zustand als notwendig und deshalb besonders attraktiv verstanden wird.
Mein Eindruck als Betroffene: Das holt mich nicht wirklich ab. Trotz der Erklärungen meiner Eltern, dass das neue Auto wirklich nötig und außerdem doch viel komfortabler sei, fand ich das alte Auto toller. Es war gewohnt, ich hatte viele schöne Erlebnisse damit verknüpft und das neue Auto roch außerdem seltsam. Was meine Eltern nicht wussten: Es fiel mir einfach schwer, mich von dem alten Auto zu verabschieden. Da konnte das Neue noch so schick sein.
Zurückschauen statt Voranpreschen
Diese Situation macht deutlich, dass in dem Fall nicht etwa fehlende Veränderungsbereitschaft der Kern des „Problems“ ist. Ich persönlich lehne nicht grundsätzlich das Neue ab. In vielen Situationen freue ich mich über Neuerungen, führe sie häufig sogar aktiv herbei. Was mir tatsächlich schwerfällt, ist das Loslassen des Alten.
Als Change Managerin im IT-Umfeld erlebe ich ähnliche Situationen. Trotz großer Bemühungen von Führungskräften stoßen auch gut begründete, vorteilhafte Veränderungen auf Skepsis. Bei einem nicht unerheblichen Teil der Mitarbeitenden entsteht keine oder nur halbherzige Motivation. Dies gibt Anlass genauer hinzusehen: Vielleicht geht es nicht um die Neuerung selbst, also nicht um das neue SAP-System, seine großartigen neuen Funktionen und die Zeit, die mit einem digitalisierten Vorgehen gespart wird. Vielleicht geht es vielmehr um die Verabschiedung des Gewohnten. Das Zurücklassen eines routinierten Arbeitsalltages, den man sich über Jahre aufgebaut hat und an welchem viele schöne Erinnerungen hängen.
Lösung heißt „sich lösen“
Was also tun? Die Lösung steckt schon im Wort selbst: sich lösen. Und zwar ganz bewusst.
Ein bewusster Abschied wird in klassischen Change Management Methoden bisher selten integriert. Der Verabschiedungsprozess läuft eher unbewusst nebenher, wird aber nicht explizit thematisiert und gestaltet. Bewusste Abschiede zeichnet vor allem eines aus: Rituale. Unsere Gesellschaft hat sich in ihrer Entwicklung eine große Bandbreite an Verabschiedungsritualen angeeignet: Schulabschlussfeiern, Junggesellenabschiede, Silvester, Beerdigungen.
Rituale sind insbesondere bei Abschiedsprozessen so hilfreich, da sie das Gefühl von Sicherheit, Struktur und Kontrolle bieten. Gerade in Krisensituationen, in denen man sich häufig unsicher und ohnmächtig fühlt, ist diese Orientierung enorm erleichternd. Dazu bieten sie etwas „Handfestes“ für häufig schwer greifbare Dinge. Sie bringen die Menschen raus aus dem Denken und rein ins Tun.
Auch Veränderungen sind als kleine Krise zu begreifen, die bei vielen Mitarbeitenden Unsicherheit hervorrufen. Rituale können helfen, einen bewussten Übergang vom Alten zum Neuen zu gestalten. Betroffene können mehr Sicherheit und Handlungsfähigkeit erlangen und dadurch der Änderung offener gegenübertreten.
Fünf Schritte zur Lösung von Widerständen
Wie kann ein bewusster, lösender Abschied im Change Management aussehen? Die folgenden fünf Schritte bieten Ihnen eine erste Handlungsorientierung am Beispiel einer SAP-Umstellung, bei welcher Widerstände trotz umfassender Kommunikationsstrategie eine besondere Herausforderung darstellen.
Schritt 1: Bewusstmachen
Machen Sie sich selbst die Abschiedssituation bewusst und schaffen Sie Bewusstheit bei den Betroffenen. Vermeiden Sie, die Attraktivität des neuen Systems zu untermauern, indem Sie das bisherige System und die laufenden Prozesse ausschließlich negativ beschreiben. Versuchen Sie stattdessen, mit einer nostalgischen Brille zu schauen und den Wert des Alten zu sehen (Bsp.: „Wow, diese Excel haben Sie selbst gebaut? Das sieht richtig kompliziert aus! Wie funktioniert sie?“).
Schritt 2: Wertschätzen
Wertschätzung ist ein Kernelement im Verabschiedungsprozess. Widerstände entstehen dann, wenn sich Betroffene nicht ausreichend gehört und gewürdigt fühlen. Vermitteln Sie Wertschätzung für das bisherige Vorgehen der Betroffenen und ihre tägliche Arbeit. Dies können Sie sowohl in täglichen Interaktionen als auch strukturiert in einem Workshop oder Meeting tun. Laden Sie z.B. zu einer Zeitreise ein und lassen Sie die vergangene Phase gemeinsam Revue passieren. Ganz nach dem Motto: „Wisst ihr noch?“.
Schritt 3: Differenzieren
Befähigen Sie die Betroffenen, zu differenzieren, wovon sie sich eigentlich verabschieden und was sie weiterhin bewahren möchten und können. Häufig ist den Betroffenen selbst nicht klar, was an dem Wegfall eines alten Prozesses oder Vorgehens tatsächlich problematisch ist. Fragen Sie genau nach und entwickeln Sie in Einzelgesprächen oder im Workshop gemeinsam Strategien, wie wichtige Elemente weiterhin erhalten werden können. Bsp.: Durch den Wegfall von Papierarbeit werden wichtige Ruhephasen im Tagesablauf vermisst. Wie können auch in einem digitalen Alltag Ruhephasen eingebaut werden? Welche Arbeiten dürfen auch mal Zeit brauchen? Für was kann die gewonnene Zeit stattdessen genutzt werden?
Schritt 4: Rituale finden
Finden Sie passende Rituale, die das Loslassen der alten Phase symbolisch unterstützen. Veranstalten Sie zum Beispiel eine Abschiedsfeier, halten Sie eine Abschiedsrede für das alte System, verbrennen Sie wegfallendes Papier oder zelebrieren Sie das Wegwerfen von alten Materialien und Geräten. Hier sind sowohl gemeinsame Rituale in der Gruppe als auch individuelle, einzeln durchgeführte Rituale hilfreich. Unterstützen Sie die Betroffenen, das für Sie passende Ritual zu finden. Gerade kreative und ungewöhnliche Rituale können helfen, mit Humor auf ein emotionales Thema zu schauen und es dadurch besser bearbeitbar zu machen.
Schritt 5: Überprüfen
Überprüfen Sie den tatsächlichen Nutzen der getätigten Schritte. Seien Sie auch im weiteren Verlauf aufmerksam für den Einfluss der Historie, des bisherigen Vorgehens und der alten Prozesse. Unterstützen Sie die Betroffenen individuell, berücksichtigen Sie die unterschiedlichen Bedürfnisse und Tempi und wiederholen Sie ggf. einzelne Schritte.
Sie sind sich nicht sicher, ob die fünf Schritte schon einen Unterschied in Ihrem Unternehmen bzw. Projekt machen oder brauchen Unterstützung bei der Umsetzung? Veränderungsprozesse sind weitaus komplexer als auf drei Textseiten darstellbar. Neben einem bewussten und wertschätzenden Abschied zur Lösung von Widerständen gibt es viele weitere innovative Methoden der systemischen Beratung. Sie gehen über die „klassischen“ Change Management Modelle hinaus und treffen die Probleme und somit Potenziale in ihrem Kern. Finden Sie gemeinsam mit unseren systemischen Berater:innen und Expert:innen für Organisationsentwicklung heraus, welche Kernthemen in Ihrem Fall vorliegen. Manchmal braucht es nur einen kleinen Perspektivwechsel, um ein ganzes Projekt wieder in Bewegung zu bringen. Testen Sie das gemeinsame Arbeiten mit uns in unserer kostenlosen Arbeitsprobe und überzeugen Sie sich selbst.
In diesem Sinne: Farewell und bis bald.
Linda
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3 Gedanken zu „Neue Change Management Methoden: Farewell statt Unfreeze“
Wie ich finde ein sehr gelungener Artikel.
Allerdings habe ich viele Erfahrungen mit passiven Widerständen in der Organisation gemacht.
Wie gehen wir denn damit um?
Viele Grüße
Carsten Knappe-Finger
Hallo Herr Knappe-Finger,
ich kann mich auch noch gut an unsere gemeinsamen Projekte bei Siemens erinnern. Ein zentraler Punkt war der Umgang mit Widerständen. Und auch der positive und wertschätzenden Umgang mit der Vergangenheit hat damals schon eine Rolle gespielt.
Ich bin sehr froh über den Artikel von Linda Malm und dass sie diesen Aspekt thematisiert. Ich bin gespannt auf die Antwort von Linda Malm zu ihrer Frage!
Viele Grüße
Jochen Scheibler
Hallo Herr Knappe-Finger,
vielen Dank für Ihre Rückfrage. Ein sehr spannender Gedanke. Und wie Jochen Scheibler schon vermutet, antworte ich natürlich gerne.
Mein erster Impuls: Ich möchte direkt nachfragen, was genau Sie unter passiven Widerständen verstehen und wie Sie diese bemerken. Denn davon hängt ein möglicher Umgang maßgeblich ab.
Wenn es darum geht, dass Widerstände intransparent sind, also z.B. nicht offen über mögliche Bedenken gesprochen wird, dies vielleicht eher „hinter dem Rücken“ passiert, wäre der nächste Schritt, diese Widerstände transparent zu machen. Die beste Methode hierfür klingt zwar einfach, ist aber besonders effektiv und braucht sowohl Fingerspitzengefühl als auch solide Techniken: Fragen. Als Change Managerin gehe ich, wenn immer möglich, direkt mit den Menschen ins Gespräch. Ich biete einen Rahmen an, in dem Betroffene möglichst offen sprechen können und stelle Fragen „in die Tiefe“. Und dann heißt es auch hier: wertschätzen, wertschätzen, wertschätzen. Die Betroffenen haben meist sehr gute Gründe, warum sie Widerstände nicht offen kommunizieren. Vielleicht haben sie schlechte Erfahrungen gemacht, Sorge um ihre Position im Unternehmen oder Frustration, „weil das ja eh nichts bringt“. Sind diese Gründe erst besprechbar, können sie aktiv genutzt werden, um den Change Prozess als ganzen positiv zu beeinflussen. Sie merken: Ich finde intransparente Widerstände besonders spannend und sehe sie durchaus als Katalysator. Sie können uns bei der richtigen Betrachtung Informationen über tieferliegende Probleme geben.
Vielleicht verstehen Sie unter passiven Widerständen auch eher eine fehlende Mitwirkung oder ein bewusstes Torpedieren, indem Aufgaben nicht erledigt werden o.Ä. Dann braucht es selbstverständlich andere Maßnahmen. So unterschiedlich wie die Kulturen der verschiedenen Unternehmen, Projekte und Teams sind, so unterschiedlich sind auch die Widerstände und deren Lösung.
Meine Antwort ist länger geraten als gewollt und doch angesichts der Komplexität solcher Situationen noch zu simpel. Daher biete ich Ihnen gerne an:
Lassen Sie uns gerne persönlich sprechen, wenn Sie an einer Idee zu Ihrer konkreten Situation interessiert sind. Auch so freut sich unser Team über einen Erfahrungsaustausch mit Ihnen.
Herzliche Grüße
Linda Malm