Im traditionellen ERP-System von SAP (selbst in der neuesten Version ECC 6.00 EHP8) sind die Materialbedarfs- und Kapazitätsplanung strikt getrennt, was bei kritischen Produkten durchaus zu Problemen führen kann:
Um einen abgestimmten Plan zu bekommen wird erst die Materialbedarfsplanung (MRP) durchgeführt unter der Voraussetzung einer infiniten Planung, sprich unbegrenzter Kapazitäten. Danach kann eine Kapazitätsplanung durchgeführt werden, die die Planung des MRP entsprechend verschiebt und die Kapazitätsressourcen berücksichtigt, also eine finite Planung im Anschluss an den MRP durchführt. Man kann sich nun vorstellen, dass bei kritischen Produkten diverse Schleifen gedreht werden müssen, da das nachträgliche Verschieben von Terminen natürlich direkt wieder einen Einfluss auf andere Materialien haben kann.
Aus diesem Grund wurde von SAP das SAP SCM (Supply Chain Management) mit der Komponente APO (Advanced Planning and Optimization) entwickelt.
Re-Integration von Planungsfunktionen in S/4HANA
Unter S/4HANA geht SAP einen Schritt zurück zu dem Konzept verschiedene Funktionen in unterschiedlichen Systemen abzubilden, die genau dafür designed sind. Seit Ende der 90er Jahre hat SAP Planungsfunktionalitäten im Produktionsumfeld im APO abgebildet und auch nur noch dort wirklich weiterentwickelt. Dieser Schritt hatte seinerzeit auch eine gute Begründung, wurde doch im APO der Live-Cache entwickelt und damit die Möglichkeit geschaffen die Planung im Hauptspeicher durchzuführen.
Mit HANA wurde quasi ein Nachfolger zu dem Live-Cache entwickelt und die SAP geht mit S/4HANA nun den umgekehrten Weg. Es werden jetzt sukzessive Planungsfunktionalitäten, die unter APO laufen, in S/4HANA integriert.
Die erste Funktionalität ist der PP/DS (Production Planning / Detailed Scheduling), der in S/4HANA reintegriert wird.
Mit dem PP/DS kann im Gegensatz zu der Bedarfsplanung im ERP ECC nicht nur tagesgenau, sondern stundengenau geplant werden. Unter ERP gab es wie schon erwähnt eine Trennung zwischen Kapazitätsplanung und Materialbedarfsplanung. Unter PP/DS kann diese Planung integriert betrachtet werden, wofür verschiedene Planungsalgorithmen zur Verfügung stehen.
Mit neuen Fiori Apps kann zudem die Produktionsplanung in einer neuartigen web-basierten grafischen Plantafel durchgeführt werden, ohne zwischen dem ERP und dem APO wechseln zu müssen.
Verwendung und Funktionen von PP/DS
Wer profitiert von dieser neuen Funktionalität des PP/DS im S/4HANA und was sind die wirklichen Vorteile davon?
Der PP/DS ist das Mittel der Wahl, um vor allem kritische Produkte zu planen, also z.B. Engpassprodukte oder Produkte mit langen Lieferzeiten. Produkte, die keine Kapazitätsbeschränkungen haben oder die schnell beim Lieferanten verfügbar sind, klassische C-Artikel, können bzw. sollten auch weiterhin nicht mit dem PP/DS geplant werden.
Mit dem PP/DS können damit realistische und durchführbare Produktionspläne erstellt werden – mit den klassischen Logistikzielen „richtige Menge zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort“. Oder anders (umfangreicher) ausgedrückt: Die Nutzung von PP/DS dient dazu, die Durchlaufzeiten zu reduzieren, bei gleichzeitiger Erhöhung der Liefertermintreue und Reduzierung der Bestandskosten.
Der Planungsprozess wird unter Verwendung von PP/DS wie in der folgenden Grafik gezeigt aussehen:
Planungsprozess mit PP/DS
Um dies nun zu erreichen beinhaltet PP/DS verschiedene Funktionalitäten, die so im ERP nicht vorhanden sind:
- PP/DS bietet die Möglichkeit einer integrierten Planung von Mengen und Kapazitäten und unterstützt damit die Disponenten dabei, Mengen nur dann für die Produktion einzuplanen, wenn ausreichend Kapazität verfügbar ist. Die Planung wird dabei mit Hilfe von sogenannten Heuristiken durchgeführt, die im Gegensatz zu ERP auch sehr flexibel angepasst bzw. erweitert werden können.
- Mit Hilfe des sogenannte „Pegging“ können im PP/DS Beziehungen zwischen Produktbedarfen und geeigneten Produktzugängen bzw. Beständen hergestellt werden, die auch bei Verschiebung des Bedarfes über alle Stücklistenstufen und -komponenten berücksichtigt werden können. Eine ähnliche Zuordnung (nur sehr viel strikter) gibt es im ERP nur mit Einzelbeständen.
- Zusätzlich kann an das PP/DS ein Optimierungsserver angeschlossen werden, der die Produktionspläne mit Hilfe von Optimierungsalgorithmen nach unterschiedlichen Kriterien optimieren kann. Damit wird schrittweise eine Annäherung an ein Optimum erzielt.
Da sich die Funktionen im S/4 nicht wirklich unterschiedlich zu denen im SCM-APO anhören müssen noch einige Dinge klargestellt werden.
Unter S/4HANA kann man zwar sagen, dass PP/DS irgendwie ein „System in einem System“ ist, da auch die Daten über Schnittstellen (CIF-Interface) ausgetauscht werden, so werden aus Materialien Produkte, aus Werken und Business Partnern Lokationen, aus Arbeitsplätzen Ressourcen und aus Stücklisten/Arbeitsplänen werden PDS (Produktdatenstrukturen). Die Integration ist jedoch sehr viel enger geworden, muss doch im Materialstamm lediglich ein Flag gesetzt werden, um die Schnittstelle (CIF Interface) zu starten und auch im Arbeitsplatz muss lediglich ein Flag gesetzt werden, um aus einem Arbeitsplatz eine Ressource zu generieren. Werke wiederrum müssen (wie auch beim Einsatz eines APO) über die CIF Schnittstelle verteilt werden.
Zusätzlich ist die Planung über PP/DS unter Verwendung des MRP Live nicht mehr komplett entkoppelt von dem klassischen MRP, sondern integriert. Was wiederrum die Frage aufwirft, was MRP live ist und was die Vorteile sind.
MRP Live
Mit SAP HANA hat SAP eine neue Form der Materialbedarfsplanung entwickelt, die sich MRP Live bzw. MRP Live on HANA nennt. Technisch kann man sich MRP Live so vorstellen, dass die Anforderung, die Materialbedarfsplanung durchzuführen, in einem Stück an den Hauptspeicher übergeben wird, dort die Berechnung stattfindet und in einem Stück wieder zurücktransferiert wird. Durch diese In-Memory-Technologie lassen sich erhebliche Zeitgewinne realisieren. Allerdings kann man dabei auch feststellen, dass der Zeitgewinn bei wenigen Materialien nicht messbar oder nur sehr gering ist. MRP Live spielt seine Stärken daher erst bei sehr großen Datenmengen aus. Mit MRP Live kann der Planungslauf flexibler gestaltet werden. So können z. B. eine Gruppe von Materialien, ein Material über alle Werke oder alle Materialien für einen Disponenten geplant werden. Die herkömmliche Materialbedarfsplanung MRP steht auch weiterhin zur Verfügung.
MRP Live hat auch verschiedene Funktionalitäten, die nicht direkt ersichtlich sind. So werden Materialien, die MRP Live nicht planen kann, zum herkömmlichen MRP weitergeleitet und dort geplant (z. B. bestellpunktdisponierte Materialien). Zum anderen werden aber auch Materialien, für die PP/DS aktiviert ist, von MRP Live weitergeleitet zum Produktionsplanungslauf in PP/DS. Welche Einschränkungen MRP Live hat, ist stark von Release und Patchlevel abhängig; SAP hat dazu den OSS-Hinweis 1914010 erstellt, der regelmäßig aktualisiert wird.
Vom herkömmlichen MRP weicht MRP Live in folgenden Punkten ab:
- MRP Live schreibt keine Dispositionslisten.
- Die mehrstufige Kundeneinzelplanung (Transaktion MD50) ist nicht für SAP HANA optimiert.
- Die Projekteinzelplanung (Transaktion MD51) ist nicht für SAP HANA optimiert.
- Das Erstellungskennzeichen für Bestellanforderungen ist in MRP Live nicht verfügbar. MRP Live legt immer dann Bestellanforderungen an, wenn das Material fremdbeschafft wird.
- Das Erstellungskennzeichen für Lieferplaneinteilungen ist in MRP Live nicht verfügbar. MRP Live legt immer dann Lieferplaneinteilungen an, wenn ein gültiger Lieferplan vorhanden ist.
Dispositionslisten waren früher ein Arbeitswerkzeug für den Disponenten und ein Tool, um Performanceprobleme zu umgehen. In SAP S/4HANA sind einerseits Performanceprobleme kein Thema mehr und andererseits für den Disponenten neuere Werkzeuge erstellt worden, sodass er jetzt mit SAP-Fiori-Apps seine Disposition kontrollieren und bearbeiten kann.
Die Anpassung bezüglich des Erstellungskennzeichens, für Bestellanforderungen und Lieferplaneinteilungen ist die augenscheinlich umfangreichste Änderung. Diese begründet SAP damit, dass sich die Arbeitsweise in den Unternehmen geändert habe und heutzutage eine Trennung zwischen Disponenten und Einkäufern nicht mehr existiere. Auch wenn das zum Teil richtig ist, kann dies sicher nicht pauschalisiert werden. Hier müssen die Kunden entweder mit den geänderten Funktionalitäten leben oder über BAdIs die alte Logik wiederherstellen.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass SAP unter S/4HANA mit PP/DS und MRP Live starke Werkzeuge für die Produktions- und Feinplanung entwickelt hat, die auch kleinere Unternehmen nutzen können, die sich kein SAP SCM leisten können, jedoch die gleichen Anforderungen an eine simultane Mengen- und Kapazitätsplanung haben wie sie auch Großunternehmen haben.
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